Der Erzbischof von Paderborn, Udo Markus Bentz, ist der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Deutschen Bischofskonferenz. In dieser Funktion hat er Anfang April 2024 das Heilige Land besucht und sich vor Ort selbst ein Bild gemacht. Mit der "Tagespost" hat er über die Situation der Christen und den Friedenauftrag der Kirche gesprochen. Für ihn steht fest: Die Kirche ist keine politische Partei. Sie muss für eine schnelle und langanhaltende Waffenruhe sowie für Verhandlungen einstehen.
Exzellenz, wie schätzen Sie die derzeitige Lage der Christen im Heiligen Land ein?
Das Bild über die Situation der Christen im Heiligen Land ist sehr verschieden. Die Situation ist extrem komplex, man muss daher genau hinschauen. Es gibt Christen, die als Staatsbürger in Israel leben. Sie teilen die Angst um ihre Sicherheit mit allen anderen im Land und sind durch das Massaker der Hamas traumatisiert. Manche Christen sind als Bürger des Staates Israel zum Militärdienst verpflichtet und sind im Gaza-Streifen eingesetzt. Dann gibt es die arabischen Christen im Westjordanland. Sie erleben, wie die anderen Palästinenser auch, dass an etlichen Orten im Westjordanland die Gewalt durch Siedler zugenommen hat. Viele haben ihre Arbeitserlaubnis in Israel verloren, andere können weiterhin dort arbeiten. Auch im Westjordanland herrscht Angst und Unsicherheit. Und schließlich: Ich denke täglich in meinem Gebet an die Menschen in Gaza, besonders an die Christen in der Pfarrei in Gaza-Stadt, die dort unter extrem schwierigen Bedingungen – einer humanitären Notlage – ausharren.
Was folgt aus der christlichen Friedensbotschaft konkret für die beteiligten Kriegsparteien? Was muss geschehen, damit der Friede eine realistische Option wird?
Es braucht eine langanhaltende Waffenruhe. So schnell wie möglich. Und zwar der Geiseln wegen, die immer noch vermisst werden. Aber auch, um den Menschen in Gaza die notwendige Hilfe zuteil werden zu lassen. Es braucht eine Waffenruhe, um an den Verhandlungstisch zu kommen. Und um dem Elend endlich ein Ende zu setzen. Viele stellen mittlerweile die Frage nach der völkerrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeit der militärischen Mittel zur Gewährleistung der eigenen Sicherheit. Mittelfristig stellt sich die Frage, wie Israel und Palästina nebeneinander existieren können. Die Zwei-Staaten-Lösung scheint einerseits fast in utopische Ferne gerückt, andererseits gibt es keine Alternative dazu für einen dauerhaften Frieden und für gleiche Existenzrechte.
Wir sind als Kirche keine Politiker. Wir haben an der Seite der Menschen zu stehen. Egal, auf welcher Seite der Konfliktparteien.
Wie kann die Kirche Botschafterin des Friedens sein und zugleich politisch neutral bleiben?
Der Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa, sagte mir im Gespräch: Wir sind als Kirche keine Politiker. Wir haben an der Seite der Menschen zu stehen. Egal, auf welcher Seite der Konfliktparteien. Wir haben die Stimme zu erheben, wo die Würde des Menschen missachtet und ihm seine Rechte vorenthalten werden. Das bedeutet, den Finger auch öffentlich in die Wunden zu legen, wo es notwendig ist, um auf die Situation der Leidenden aufmerksam zu machen und etwas zu bewegen. So mahnt der Kardinal zurecht, die langfristigen Folgen für die Menschen zu sehen. Auf beiden Seiten lassen die extremen Traumatisierungen das Zusammenleben so schwer erscheinen. Ein friedliches Zusammenleben scheint da fast unmöglich zu sein. Wenn die Waffen einmal schweigen, herrscht noch lange kein Frieden. Der Hass, der gesät wurde, sitzt so tief.
Kann die katholische Kirche an Ort und Stelle zwischen Palästinensern und Israelis, zwischen Arabern und Juden konkret, vermitteln? Etwa durch Schulen oder andere karitative Einrichtungen?
Humanitäre und caritative Hilfe – nicht nur für Christen, sondern für alle Leidenden – ist ein Beitrag zum Frieden. Hier leistet die Kirche mit verschiedenen Einrichtungen und Organisationen in meinen Augen eine sehr gute und auch anerkannte Arbeit. Die Unterstützung verschiedener Initiativen, die vor Ort konkret am Dialog zwischen Juden und Arabern arbeiten und Begegnungs-, Gesprächs- und Bildungsformate anbieten, ist ein Beitrag zur Versöhnung und langfristig zum Frieden. Vertreter einer solchen Initiative habe ich bei meinem letzten Besuch in Jerusalem getroffen (Anfang April 2024, Anm. d. Red.). Sie haben mir berichtet, wie schwierig ihre Arbeit geworden ist. Und unsere Schulen haben das gleiche Ziel: Wer mehr voneinander weiß und wer gemeinsam lernt, kann den Anderen tiefer und besser verstehen. Ein sehr nachhaltiger Beitrag zu Versöhnung und Frieden.
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